Eine (leider) recht häufige Beschwerde: Mein Lehrling weiß sich nicht zu benehmen. Er grüßt nicht, ist unfreundlich, respektlos, scheint sich nicht um seine Aufgaben zu scheren, reagiert unwirsch, wenn man ihm Arbeitsaufträge erteilt.
Kurze Situationsbeschreibung:
Diese Beschwerde wurde im Rahmen eines Lehrlingsseminares (Teamtraining) an mich herangetragen. Mehrere Lehrlinge aus verschiedenen Filialen sollten sich untereinander besser kennen lernen und in den jeweiligen Teams besser zusammenarbeiten. Im Seminar selbst fiel mir der Lehrling nicht als besonders unfreundlich oder respektlos auf … eher durch eine direkte Art (aber ob etwas noch direkt oder schon unfreundlich ist, ist oft Geschmackssache). Ein weiterer Hinweis von den Lehrlingsausbildern: „Irgendwie kommen alle problematischen Lehrlinge immer in diese eine Filiale.“
Dieser weitere Hinweis ließ mich aufhorchen.
Ich vereinbarte mit den Lehrlingsverantwortlichen besonderes Augenmerk auf die Lehrlinge aus dieser Filiale zu legen, das Seminar habe ich leicht abgeändert und wir haben eine Sequenz eingeschoben, Arbeitstitel: „Respekt“. Die Lehrlingsverantwortlichen haben wir rausgeschmissen. Die Lehrlinge sollten ja frei von der Leber weg erzählen.
Kurzer Einschub – man muss wissen: Für viele Lehrlinge ist Respekt ein großes Thema. Respekt haben, sich Respekt verdienen, Respekt zeigen und Respekt zollen. Was oder wer verdient Respekt? Ist Respekt etwas, was einfach da ist, man einfach hat oder haben muss oder wird Respekt verdient?
Warum also ist Respekt und Respektlosigkeit so oft ein Thema?
Ergebnis in diesem Fall: Die Lehrlinge waren nur Symptomträger. Es war in besagter Filiale gang und gäbe über den Chef, die Kollegen und die Kunden vom Leder zu ziehen. Immer in wechselnden Konstellationen. Einzig: Die Lehrlinge waren (noch) nicht geschickt genug sich in den wechselnden Konstellationen schnell genug umzustellen, die unausgesprochenen Allianzen und Bünde zu durchschauen und diverse Gehässigkeiten mit einem Lächeln auf den Lippen vorzutragen. Kurz: Sie mussten die Spiele der Erwachsenen noch lernen.
Den Lehrlingen zu raten, einfach nicht mitzumachen, schien mir als unhaltbare Lösung. 1. Innerhalb kürzester Zeit würde die Übermacht der Organisationskultur, der Unternehmenskultur wieder in alte Muster zurückführen. 2. Die Lehrlinge würden sich exponieren und selbst über die Maßen zur Zielscheibe werden.
Die Lösung:
Eine Taktik der kleinen Schritte.
Zuerst im Seminar: Kurze Erklärung zu Wahrnehmung, Interpretation und Wirkung. Wie funktioniert Wahrnehmung? Wie komme ich zu den Interpretationen meiner Wahrnehmung? Und: Wie steuere ich deren Wirkung auf mich?
Die Lehrlinge sollten dann an jedem Kollegen und am Chef etwas liebenswürdig Bemerkenswertes finden und aufschreiben, verinnerlichen.
Dann im Feldversuch in der Filiale: Jedes Mal wenn der Lehrling bemerkt, dass jemand anfängt gehässig zu werden, sollten sie eine kleine Würdigung über das gerade aktuelle „Ziel“ einwerfen. Nichts an den Haaren herbeigezogenes, nichts Übertriebenes. Einfach eine Kleinigkeit, gerne auch eine Oberflächlichkeit.
Nach einiger Zeit – beim nächsten Seminar; andere Lehrlinge, selbe Ausbilder – fragte ich nach, ob eine Veränderung bemerkbar war. Antwort: Ja, aber … .
Die Stimmung in der Filiale war schlechter geworden. Die „Erwachsenen“ gingen zusehends in einen offenen Konflikt. Die Lehrlinge aber spielten dieses gehässige Spiel nicht mehr mit. Die Ausbilder, die Kollegen und der Chef waren mit den Lehrlingen zufriedener geworden.
Was aus den „Erwachsenen“ wurde, ist eine andere Geschichte …
- Ist Respekt unter Ihren Lehrlingen oder zwischen Lehrlingen und Ausbildern ein Thema?
- Haben sich Ihre Mitarbeiter in ungünstige Kommunikationsmuster verstrickt?
- Benötigen Sie einen Blick von außen?